Lasst uns hinstehen, für unsere Werte einstehen
Delegiertenversammlung von 25. Januar 2025, Peseux (NE)
Es ist meine vierte Delegiertenversammlung als Präsidentin und ich darf sagen, dass DVs im grossen Pflichtenheft der Präsidentin zu meinen Lieblingsereignissen zählen. In Renens, in Basel, in Herisau: Es war mir jedes Mal eine grosse Freude, euch zu treffen. Euer Engagement, eure Zuversicht zu spüren.
Aber in dieser Woche ist es besonders. In dieser Woche hat wohl jede*r von uns irgendwann innegehalten, leer geschluckt, um Fassung gerungen. Es liegt etwas in der Luft. Das Gefühl: Wir gehen dunklen Zeiten entgegen.
*** Was Trump will ***
Mit vier Worten hat Trump die Welt daran erinnert, wer er ist. «We will drill, baby, drill.»
Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen. Deportation von Millionen Migrant*innen. Massenhafte Begnadigung von kriminellen Rechtsextremisten. Streichung der fundamentalen Rechte sexueller Minderheiten. Angriffe auf die Justiz. Auf benachbarte Staaten. Rückkehr zu Öl, Gott und Imperialismus.
Natürlich, seit seiner Wahl rechneten wir alle mit dem Schlimmsten. Aber wenn es dann eintritt, mit einer solchen Wucht wie in dieser Woche, ist es trotzdem empörend und erschreckend. Eben: Wir gehen dunklen Zeiten entgegen.
*** Nicht besser: der Bundesrat. ***
Und wir können uns nicht damit trösten, dass es in der Schweiz anders läuft. Die Nebeldecke liegt auch über uns. «Ich mag es lieber warm als kalt.» Mit wenigen Worten hat Albert Rösti die Schweiz daran erinnert, wer er ist: Ein Lobbyist für fossile Energien und Atomkraft, der auf dem Stuhl des Umweltministers sitzt.
Seine Klimapolitik? Genauso verheerend wie die von Trump. Vergleicht man die Klima-Massnahmen der Schweiz mit denen, die Trump angekündigt hat, kommt man in etwa zum gleichen Ergebnis. Nein, die Schweizer Klimapolitik ist nicht vorbildlich. Die Schweizer Klimapolitik ist katastrophal. So verheerend, wie die heutige Politik ist, so verheerend werden ihre Folgen in der Zukunft sein. Und Albert Rösti ist im Bundesrat nicht allein. Karin Keller-Sutter hat auch einen Plan.
Höhere Preise für den ÖV.
Weniger Prämienverbilligungen.
Höhere Studiengebühren.
Weniger Geld für die AHV.
Keine Subventionen mehr für klimafreundliche Sanierung mit der Streichung des Gebäudeprogramms.
Keinen einzigen Nachtzug mehr.
Keine Kita-Finanzierung mehr.
Der von den Kürzungen am stärksten betroffene Bereich? Umwelt und Klima. Und während überall gekürzt wird, fliessen zusätzliche Milliarden in die Armee. Das ist kein Zufall – das ist die ideologische Machtpolitik von FDP-SVP. Der No-Future-Bundesrat marschiert durch. Vollgas – zurück in die Achtzigerjahre. Auto, Armee, AKW.
Auch hier könnte man sagen: Dunkle Zeiten. Aber in Tat und Wahrheit ist es nicht so.
Denn das, was zählt, das sind nicht die Fantasien von Trump. Noch den Fimmel von Rösti. Und auch nicht KKS und Co. Was zählt, ist die Bevölkerung. Und die Bevölkerung hat entschieden. Heute ist es fast genau zwei Monate her. Ihr wisst, wovon ich spreche! Die Stimmbevölkerung hat NEIN gesagt zu den Mega-Autobahnen.
Nein zu mehr Autos, mehr Lärm, mehr Beton. Nein zu mehr Stau, mehr Abgas, mehr Unfällen. Nein zur Zubetonierung von wertvollem Kulturland. NEIN zur Verschwendung von Milliarden für rechtsbürgerliche Visionen der Vergangenheit.
Es war ein donnerndes Nein. Ein Nein, des Wiederstandes. So nicht! Und was so besonders war: Keiner von denen, die immer zu wissen glauben, was «das Volk» gerade besonders beschäftigt, hat dieses Nein kommen sehen. Niemand hat es gespürt. Ausser uns, liebe Grüne. Ausser uns.
Erinnert ihr euch noch? Vor zwei Jahren, als wir im Parlament die Probleme aufzeigten? Die Absurdität dieses Autobahnausbaus? Wir wurden belächelt! Sogar bei unseren linken Verbündeten gab es Enthaltungen. Es lohnt sich nicht, dagegen zu kämpfen, sagten gewisse. Zeitverschwendung, sagten sie. Kommt sowieso durch, sagten sie. Die Schweiz ist ein Auto-Land. Falsch! Die Schweiz ist nicht mehr die Schweiz unserer Grosseltern. Die Schweiz ist ein Fussgänger*innen und Velo-Land, ein ÖV-Land, ein Zukunfts-Land!
Und wie haben wir es geschafft? Indem wir gekämpft haben. Die Verbände, die Ortparteien, die Wissenschaftler*innen, die Zivilgesellschaft. Alle zusammen.
Und als die Autolobby plötzlich Panik bekam und weitere Millionen in den Kampf warf, haben wir noch mehr gekämpft. Und – alle gemeinsam – diesen Sieg errungen.Es war dann natürlich für die Kommentatoren etwas schwierig, zuzugeben, wie sehr sie sich geirrt hatten. Jedenfalls zu Beginn.
Die grüne Bewegung gewinnt? Das ist natürlich nicht möglich. Eine Anti-Zuwanderungs-Abstimmung sei es gewesen, verkündete der Tages-Anzeiger am nächsten Tag. Ein Sieg der SVP! Ich habe sehr gelacht. Sie können sich noch so verrenken. Diesen Sieg nimmt uns niemand mehr.
Am 24. November war die Stimmbevölkerung mit uns. Und nicht mit Blocher. Am 24. November hat nicht die SVP Geschichte geschrieben. Sondern wir. Vor kurzem musste es auch die NZZ zugeben, aber natürlich ganz klein am Rand!.
Natürlich wollen die Wähler*innen die Umwelt schützen! Natürlich sind sie besorgt! Über die Hunderten Autos, die unter ihren Fenstern vorbeifahren. Darüber, dass die Natur unter dem Beton verschwindet. Über die Erderwärmung. Die eine Katastrophe nach der anderen verursacht. Ob es dem Establishment, das den Klimaschutz seit vier Jahren unter den Teppich kehrt, gefällt oder nicht. Die Umfragen sind eindeutig. So haben wir die erste Etappe gegen das Programm «Autobahnen, Armee, Atom» des No-Future-Bundesrates gewonnen.
Und wenn der Bundesrat die Lebensrealitäten der Bürger*innen weiter ignoriert; wenn er die grossen Fragen unserer Zeit – Klima, die wachsenden Ungleichheiten und Zusammenhalt – weiter ausklammert; wenn er mit seinem SVP-FDP-Wunschkonzert weitermacht, werden wir weiter gewinnen!
Ich habe es schon im letzten Sommer gesagt: Mit diesen Mehrheiten in Bern wird es eine Referendumslegislatur. Und wir GRÜNE, wir sind bereit dafür.
Aber, liebe Grüne, wir sind nicht nur in der Politik, um Schlimmeres zu verhindern. Wir wollen unsere Werte verwirklichen. Eine offenere, solidarischere, ökologischere Schweiz. Eine gerechtere Welt. Es liegt also an uns, Schritte nach vorne zu machen. Schritte in die Zukunft. Der brachialen Politik von Trump und Rösti unsere eigenen Werte entgegenzustellen. Das ist unsere Aufgabe. Und deshalb sind wir heute hier.
Gerade jetzt, wo ein frauenverachtender Straftäter die US-Präsidentschaft übernommen hat, müssen wir die Grundrechte stärken, die Anerkennung und die Rechte und den Respekt aller Menschen einsetzen – unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität. Kämpen wir gegen Hass und Gewalt! Wir tun das mit der Resolution «Vielfalt der Geschlechtsidentitäten: ein Reichtum für unsere Gesellschaft».
Gerade jetzt, wo toxische Männer dies- und jenseits des Atlantiks die Zeit der Familienpolitik zurückdrehen wollen, müssen wir die Grundlage legen für eine zeitgemässe Familienpolitik. Eine Familienpolitik jenseits traditionellen Musters. Eine Familienpolitik, die nicht mehr auf dem Buckel der Mütter stattfindet. Eine Familienpolitik, in der die Eltern ihre Verantwortung gemeinsam tragen, die Aufgaben fair aufteilen und beide Elternteile für ihre Kinder da sind. Dafür, liebe Grüne, lancieren wir die Familienzeitinitiative.
Gerade jetzt, wo Klima-Massnahmen und Chancengleichheit unter Druck kommen, müssen wir das gefährliche Sparpaket des Bundesrates in aller Deutlichkeit zurückweisen. Wir sind bereit für das Referendum.
Gerade jetzt, wo «America first» ertönt, müssen wir laut und deutlich sagen, dass Europa unser Bollwerk ist. Wir teilen ähnliche Werte: Demokratie, Menschenrechte, Unabhängigkeit der Justiz. Und wir wollen sie zusammen verteidigen. Jetzt sind die Verträge für eine engere Zusammenarbeit auf dem Tisch. Und gerade jetzt sagen wir JA. Und wir sagen es auch, damit die Leute, die hier arbeiten, mehr Rechte bekommen. Sie sind nicht nur Arbeitskraft. Sie sind Menschen. Und sie müssen endlich mehr Sicherheit bekommen.
Aber: wir erwarten vom Bundesrat, dass er den Lohnschutz garantiert. Weil man es aus der Erfahrung sehr gut weiss: die Bekämpfung des Lohndumpings ist essenziell, wenn man eine soziale Akzeptanz will. Der Bundesrat muss Farbe bekennen: Will er diese Verträge wirklich? Wenn ja, geht es nur mit glaubwürdigen Begleitmassnahmen. Es ist endlich Zeit für ihn, nicht économiesuisse und Swissmem regieren zu lassen, sondern selber die Lösungen vorzuschlagen, damit das Prinzip «gleicher Lohn am gleichen Ort für die gleiche Arbeit» gilt.
Liebe Grüne, ich verrate euch etwas: Heute werde ich 37 Jahre alt. Und für mich, wie für ganze Generationen ist Europa einfach eine Selbstverständlichkeit.
Wenn die Rechten die Schweiz isolieren wollen, müssen wir bekräftigen, dass die Bewegungsfreiheit unsere tägliche Realität ist. Es ist meine Nachbarin, mein Schulkollege, der Lehrer meines Sohnes, die Pflegeperson meiner Grossmutter, der Gärtner des Quartieres. Es sind die jungen Leute, die Berlin und Paris besser kennen als Lausanne und St. Gallen, es sind die Student*innen, die ein Semester in Amsterdam verbringen, es ist der Fussballverein, der zu einem Turnier nach Barcelona fährt. Die Offenheit und die Solidarität über die Nationalstaaten hinaus. All das ist unsere Realität.
Und wenn die Rechten behaupten, Europa sei gefährlich, müssen wir ohne mit der Wimper zu zucken daran erinnern, dass Europa die Klimapolitik macht, die die Schweiz nicht macht. Dass es ehrgeizige Standards für Lohngleichheit, für die Verantwortung der Konzerne und Fortschritte in Richtung PFAS-Verbots verabschiedet. Nicht Europa ist gefährlich. Gefährlich ist die Abschottung.
Diese Debatten sind überholt. Europa ist eine Selbstverständlichkeit.
Gerade jetzt, wo dichte, graue Wolken über unsere Köpfe ziehen, müssen wir unseren Stolz bekräftigen. Darauf, dass wir Werte wie Offenheit, Solidarität und Respekt in uns tragen. Gegenüber jedem Menschen. Und gegenüber der Natur. Denn kein Trump, kein Musk, keine Weidel, kein Kickl, keine Meloni, kein Rösti macht uns Angst. Weil wir zusammenstehen. Weil wir uns wehren. Und diese Mobilisierung hat längst begonnen. Bei der 13. AHV. Am 24. November. Und gerade wieder:
In nur zwei Wochen haben Tausende von Aktivistinnen über 180’000 Unterschriften gesammelt, um den Menschenrechtsverletzungen und der Umweltzerstörung im Ausland durch Schweizer Konzerne ein Ende zu setzen. So geht Politik in der Schweiz.
Liebe Grüne, lassen wir uns die Sicht nicht vom Nebel trüben. Lasst uns hinstehen, für unsere Werte einstehen. Und lasst uns feiern! Denn wir haben gewonnen. Und wir werden wieder gewinnen.